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Die Kunst der Veränderung

Mülheimer Süden

Tanzen und Chillen mit „Zukunft Mülheim“. Das DJ- und Künstlerkollektiv veranstaltet Benefitsparties am Mülheimer Hafen. Foto: Eva Rusch
Tanzen und Chillen mit „Zukunft Mülheim“. Das DJ- und Künstlerkollektiv veranstaltet Benefitsparties am Mülheimer Hafen. Foto: Eva Rusch

von Judith Tausendfreund

Fotos und Illustrationen: Eva Rusch

 

Früher einmal die Heimat von Industrie, zwischendurch die Heimat von Kunst und Kultur, später einmal die Heimat von Menschen, die genug verdienen, um teuere Mieten zu zahlen – diese Form von Stadtentwicklung nennt man „Gentrifizierung“ oder gentrification. Der Prozess verläuft nach einem bestimmten Muster: Angezogen durch niedrige Mietpreise sowie zunehmend attraktivere Lagen, werden einzelne Stadtteile für „Pioniere“, das sind Studenten, Künstler und Subkultur, attraktiv. 

 

Diese werten die Stadtteile durch kulturelle Aktivitäten auf und setzen einen Segregationsprozess in Gang. Der Mülheimer Süden passt nicht ganz in dieses Schema. Hier befinden wir uns auf rein industriell geprägten Arealen, die neue Nutzungen erfahren werden. Mit als erste sind dort – die Künstler und Kreativen. Doch die geplanten Quartiere sollen gemischt sein. Und das nicht nur im Bezug auf die Nutzungen, sondern vor allem auch hinsichtlich der sozialen Millieus. Das kann nur gelingen, wenn auch preiswerter Wohnraum angeboten werden kann.

 

 

Der Wandel – positiv, negativ, neutral?

 

Die Frage, ob exakt dieser Prozess in Mülheim Süd stattfindet, ist eine komplexe Frage. Antworten fehlen schlichtweg. Fest steht, es gibt ein großes Areal und hier wird viel passieren.

 

Insgesamt sind es fünf Flächen: Das Deutz-Areal, das Lindgens-Quartier, das Otto-Langen-Quartier und Cologneo I, II und III. Ein Gelände, auf dem „Ende des 18. Jahrhunderts deutsche Industriegeschichte geschrieben wurde“, so beschreibt es Cologneo I beispielsweise auf der Webseite. Auch ist die Rede von einem kreativen Hotspot.

 

In der Tat, wer sich in Köln für Konzerte, Kunst und Kultur interessiert, ist zwangsläufig schon einmal dort gewesen: Gebäude 9, Kunstwerk, Kunstetage, raum13 Deutzer Zentralwerk der Schönen Künste und noch recht neu: die Hafenakademie und andere Namen sind vielen Kunstinteressierten ein Begriff. Ganz neu hat sich im Atelier- und Kreativhaus Lindgens & Söhne ein Freelancer-Stammtisch gegründet. Gastgeber ist das Kollektiv „≠eins“. Auch über Köln hinaus ist die ein oder andere Aktivität bekannt, schließlich gilt Köln als heimliche Hauptstadt der Kultur- und Kreativwirtschaft.

 

Doch wie geht es den Kreativen mit dem weiter voranschreitenden Wandel? Gibt es ein Konzept oder gar ein Rezept, welches am Ende garantiert, dass Kunst und Kultur eben nicht nur vorübergehend als Pioniere und am Ende Preistreiber genutzt werden? Etabliert sich das Quartier langfristig mit seinen Künstlern?

 

 

Auf der Suche nach Antworten

 

Ja, die Kunst soll bleiben. Lukas Stahl, Mitarbeiter von Fritz Hamacher, bekräftigt dies. Die Hamacher Immobiliengruppe hat 2007 das komplette 40.000 Quadratmeter große „Lindgens Gelände“ gekauft. „Als kölsches Traditionsunternehmen hat die Firma ein herzliches Verhältnis zum Standort und von daher ein Eigeninteresse, dass sich das Quartier nachhaltig entwickelt“, führt Stahl aus. Da ein Teil der Pläne nicht sofort umgesetzt werden könne, gebe es aktuell Brachflächen – und diese Flächen sollen genutzt werden. Um dies zu fördern, hat man den Verein „Hafen Akademie Köln Mülheim e. V.“ gegründet. „Auch wenn die geplante Bebauung weiter voranschreitet, soll das, was hier in der Zwischenzeit entstanden ist, bleiben können“, betont Stahl. So seien zum Beispiel Architekten damit beauftragt worden, schon jetzt die Augen offen zu halten, um das begonnene Urban Gardening Projekt dauerhaft zu etablieren. „Langfristig soll die Akademie sich selber tragen“, erklärt Stahl. „Der Charme des Unfertigen, das Gelände im Umbruch. Alles wird sich wohl verändern, dennoch soll der Ort als attraktiver Ort erhalten bleiben“, beschreibt er eine Hoffnung, die sicher viele teilen.

 

Nein, die Zukunft ist nicht sicher. So sieht es Pascal Scherwitz, neu im Vorstand des Vereins Kunstetage e. V. Es sei eine schwierige Phase, denn die Künstler, die hier organisiert sind, verfügen – noch – nicht über langfristige Verträge. Momentan wird verhandelt, das Gelände wird saniert und renoviert, alles wird sich ändern. Es sind etwa 18 Künstler, einige arbeiten in Gemeinschaftsateliers, andere haben eigene Ateliers eingerichtet. Der Verein hat sich vor zwei Jahren gegründet, das Ziel: Kunst im bezahlbaren und geschützten Raum anzubieten, zu sichern. Wer sich jemals mit Künstlern in Köln unterhalten hat, weiß, dass dies eine Art Lebensaufgabe ist. Denn in der stets wachsenden Stadt Köln ist bezahlbarer Raum zwangsläufig und chronisch eine Mangelware. „Es ist absolut verständlich, dass durch Renovierungs- und Sanierungsarbeiten sich auch die Mietpreise ändern. Aber gerade junge Künstler*innen verfügen oft nicht über die entsprechenden finanziellen Mittel“, so Scherwitz. Er sorgt sich, dass so auch Vielfalt, Buntheit und Lebendigkeit verloren gehen. Mit diesen Sorgen ist er nicht alleine. „Wir hoffen, dass wir eine Lösung finden“, blickt er in die irgendwie ungewisse Zukunft. Er hat Verständnis für beide Seiten, „das ganze Thema ist einfach sensibel.“

 

Die Zukunft als eine stabile Angelegenheit ist jedoch nach Angaben der CG Gruppe AG, die hier investiert, greifbar: „Wir sehen es als unsere gesellschaftliche Aufgabe an, den Bestandsmietern vor Ort und insbesondere den Künstlern die Möglichkeit zu geben, zu bleiben“, versichert ein Sprecher der Gruppe. Er bestätigt die Verhandlungen,„für den Großteil der Bestandsmieter der für den Abbruch vorgesehenen Gebäudeteile in der Deutz-Mülheimer Straße 129 wurden bereits langfristige neue Mietverträge geschlossen. Diese Mieter werden in den neuen Kunst- und Gewerbehof einziehen“, so die weitere Auskunft.

 

Der Kunstwerk Köln e. V. versteht sich selbst als Deutschlands größtes selbstverwaltetes Künstlerhaus. Über 150 Bildende Künstler*innen, Kunsthandwerker*innen und Musiker*innen arbeiten in 80 Ateliers, Werkstätten und 11  Musikstudios – 1995 gegründet, blickt der Verein auf eine ungleich längere Geschichte zurück und hat möglicherweise den Weg geschafft, den andere hier noch vor sich haben: Man ist etabliert. Die Verträge sind langfristig, man wird bleiben können. Aktuell kostet der Quadratmeter 5,40 Euro kalt, Interessenten müssen Vereinsmitglied werden und sich bewerben.

 

Das Gebäude 9 darf getrost zu den Pionieren gezählt werden: Seit 1996 existiert es auf dem ehemaligen Fabrikareal Deutz-Mülheimer Straße 127-129. Club und Freies Theater, Konzert-Bühne und Underground-Kino – all dies wird geboten. Das Gebäude 9 wird von einer privaten Veranstaltergemeinschaft betrieben, bis zu 300 Zuschauer können die Konzerte besuchen. Existenzsorgen gab es hier allerdings schon öfter, sowohl das Kunstwerk Köln als auch Gebäude 9 sind in der Deutz-Mülheimer Straße 127 „zu Hause“ und beide standen in den letzten Jahren immer mal im Fokus der Stadtentwickler – so oder so.

 

Schon seit zwei Jahren gibt es einen Austausch zwischen den Betreibern des Clubs Gebäude 9 und der CG Gruppe: „Es geht dabei um den Umfang und Zeitraum der notwendigen Baumaßnahme“, erklärt der Sprecher der Gruppe. Man sei im partnerschaftlichen, intensiven Austausch. Auch hier bestätigt der Investor die Absicht, „das Gebäude 9 als festen kulturell-gewerblichen Bestandteil Mülheims zu erhalten und mitzuentwickeln.“ Man sei übereingekommen, den Club 2019 für die Phase des Umbaus zu schließen und zum 1. November 2019 wieder zu eröffnen.

 

Auch die Künstler raum13 Kolacek&Leßle sind besorgt um die Zukunft des Mülheimer Südens und gleichzeitig voller Hoffnung. Seit acht Jahren erschließen sie das ehemalige Sozialgebäude der Gasmotorenfabrik Deutz, später Klöckner-Humboldt-Deutz AG mit künstlerischer Intervention. Die Auseinandersetzung mit mehr als 150 Jahren Industrialisierung und dem einhergehenden gesellschaftlichen Wandel bildet die Grundlage für die künstlerische Beschäftigung mit der ersten Motorenfabrik der Welt, der Ort an dem der Verbrennungsmotor die Dampfmaschine ablöste. Es geht ihnen um die Erschließung als Erinnerungs- und gleichzeitiger Zukunftslandschaft für gesellschaftliche und politische Prozesse. Sie finden offene Ohren bei Industriehistorikern, Sozialwissenschaftlern, der Verwaltung und der Politik. Man ist sich einig, dass dieser besondere Ort für Köln und die Region nutzbar gemacht werden muss. Stadtenwicklung aus der Kunst heraus wünschen sie sich für das „Otto und Langen-Quartier“. Das noch sehr junge wissenschaftliche Prinzip des „Reallabors“ sei für diesen Ort das Ideale. „Jede größere Stadt sollte sich ein Reallabor leisten. Wir wollen ein Vorzeigeprojekt für Urbanität im 21. Jahrhundert. Schön wäre es, wenn Stadtplaner aus anderen Städten sich zukünftig ihre Inspirationen aus Köln holen würden“, so Marc Leßle, einer der beiden Protagonisten des Deutzer Zentralwerks der Schönen Künste.

 

Bedauert wird in der Zwischenzeit von Industriehistorikern wie Walter Buschmann und Alexander Kierdorf, dass auf dem Deutz AG Gelände nebenan eine industriehistorisch bedeutungsvolle Halle des Kleinmotorenbaus von der Gerchgroup abgerissen worden ist, und dass der Stadtkonservator die Bedeutung der Halle nicht anerkannt hat. Allen Protesten zum Trotz. 

 

Es bleibt zu hoffen, dass die nächsten Schritte von Politik, Verwaltung und Investoren umsichtiger gegangen werden. Mülheim-Süd ist eine überregional bedeutsame Stadtentwicklung, sie birgt Chancen – dies muss zwingend erkannt und berücksichtigt werden.

 

Ein großflächiger Grünzug „Mülheimer Süden“ zur Anbindung des Mülheimer Stadtparks an den Rhein ist in der Planung vorgeschrieben. Der Turm der Deutz AG sollte als Wahrzeichen stehen bleiben. Er ist abgerissen.
Ein großflächiger Grünzug „Mülheimer Süden“ zur Anbindung des Mülheimer Stadtparks an den Rhein ist in der Planung vorgeschrieben. Der Turm der Deutz AG sollte als Wahrzeichen stehen bleiben. Er ist abgerissen.

Deutz Quartiere

 

Eigentümer/Investor: Gerchgroup AG

Nutzung: Wohnen & Gewerbe

Gesamtinvestition ca. 1 Mrd. €

Bruttogeschossfläche ca. 305.000 qm

ca. 2.500 neue Wohneinheiten, davon 30 % öffentlich geförderter Wohnungsbau.

Angebote zur Nahversorgung

Mit dem Schulamt ist eine Gesamtschule und Grundschule konzipiert worden, ein Kindergarten kommt hinzu.

 

Derzeit laufen umfangreiche Abrissarbeiten. Mit dem Baubeginn wird ab 2020 gerechnet, erste Fertigstellungen ab 2023. 

 

Ein großflächiger Grünzug „Mülheimer Süden“ zur Anbindung des Mülheimer Stadtparks an den Rhein ist in der Planung vorgeschrieben. Der Turm der Deutz AG ist inzwischen abgerissen.

 


Blick aus dem Redaktionsbüro in die Zukunft: Ein Prototyp „Mobilitätshub“ entsteht im Frühjahr 2019.
Blick aus dem Redaktionsbüro in die Zukunft: Ein Prototyp „Mobilitätshub“ entsteht im Frühjahr 2019.

Lindgens Areal

 

Eigentümer/Investor: Lindgens & Söhne GmbH & CO. KG / Lindgens-Areal Projekt GmbH & Co.KG (Hamacher/WvM)

 

36.380 qm Wohnfläche

362 Wohnungen

21.427 qm Gewerbefläche (neu)

8.542 qm Gewerbefläche (alt)

1.529 qm Kita

451 qm soziokulturelle Fläche

 

Bauphasen

Parkhaus in Industriehalle – Ende 2019 bis Ende 2020

Wohnhäuser im Neubau – Anfang 2020 bis Ende 2022

Gewerbe Neubauten - Ende 2019 bis Ende 2022

Bau des Kindergartens – Mitte 2020 bis Ende 2021

 

Mobiltätshubs

Lindgens startet Pilotprojekt zum Mobiltätskonzept für den Mülheimer Süden. Da die finale Mobilitäts-Station erst nach den Bauarbeiten am Standort in 2 bis 3 Jahren platziert werden kann, sollen erste Mobilitätsangebote als Interimslösung bereits ab Frühjahr/Sommer 2019 rund um das jetzige Pförtner-Häuschen auf dem Penox-Gelände geschaffen werden. In Teilen schon 2019 verwirklicht und später im Angebot:

 

Carsharing

  • 6 Carsharing-Stellplätze mit öffentlichem Zugang
  • alle mit Elektroladepunkt 
  • verschiedene Fahrzeugmodelle für den unterschiedlichen Alltagsbedarf (Lieferwagen, Kombi, PKW, Elektro und Verbrenner)

 

Fahrrad

  • Leihradstation KVB ( 16 Stellplätze)
  • Leihfahrräder inkl. E-Bikes
  • E-Bike-Ladestation (20 E-Bikes/Akkus) 
  • Shop/Service/Werkstatt von örtlichem Fahrradhändler
  • Lastenradverleih (inklusive 5 Lastenradstellplätze)

 

E-Scooter-Sharing

  • E-Scooter-Verleih (5  Stellplätze)

 

Die Mobilitätsstation soll als zentraler Begegnungspunkt im Quartier auch Serviceangebote des Alltags und zudem Aufenthaltsqualität bieten. Hierzu sind angedacht:

 

Service/Nahversorgung

  • Café/Bistro (mit W-Lan und Außenterrasse)
  • Mini-Supermarkt (zum Beispiel ReweToGo, etc.)
  • KVB-Tickets
  • Paketstation
  • Bankautomat
  • digitale Infostelen (Buchung der Mobilitätsangebote, Fahrplanauskunft, Staumelder, etc.)
Geplanter Kindergarten im Lindgens Areal. Illustration nach einer Visualisierung von trint+kreuder d.n.a. architekten.
Geplanter Kindergarten im Lindgens Areal. Illustration nach einer Visualisierung von trint+kreuder d.n.a. architekten.

Otto-Langen- Quartier. Die ehemalige Werksstraße der Deutz AG eignet sich hervorragend als Künstlerstraße mit Ateliers, Gastro und Kleingewerbe. Die Macher*innen von raum13 und Freunde setzen auf ein Reallabor für Urbanität im 21. Jahrhundert.
Otto-Langen- Quartier. Die ehemalige Werksstraße der Deutz AG eignet sich hervorragend als Künstlerstraße mit Ateliers, Gastro und Kleingewerbe. Die Macher*innen von raum13 und Freunde setzen auf ein Reallabor für Urbanität im 21. Jahrhundert.

Otto-Langen-Quartier

 

5 ha Fläche im Besitz der NRW.URBAN, Eggerbauer GbR sowie Gerchgroup AG

ca. 85.000 qm BGF

ca. 500 Wohnungen

max. 30 % öffentlich gefördert

ca. 10.000 qm Gewerbe Grundfläche

 

Bestandsnutzer: Institutionell gefördert durch die Stadt Köln „Deutzer Zentralwerk der Schönen Künste“, betrieben durch die raum13 gGmbH Anja Kolacek/Marc Leßle im ehemaligen

Verwaltungstrakt der DEUTZ AG


Blick auf das Cologeno II. Illustration nach einer Visualisierung der CG Gruppe.
Blick auf das Cologeno II. Illustration nach einer Visualisierung der CG Gruppe.

Cologneo I, II und III

 

Eigentümer/Entwickler: CG Gruppe AG

 

Cologneo I

94.744 qm Bruttogeschossfläche

33.719 qm Wohnfläche

484 Wohnungen (30 bis 170 qm)

28.615 qm Gewerbefläche (neu)

32.410 qm Gewerbefläche (alt)

Fertigstellung Kita Februar 2019, Kunst- und Gewerbehof Herbst/Winter 2019, weitere Baufelder aktuell Dekontaminationsarbeiten, Baugenehmigungen in der Abstimmung

 

Cologneo II

71.500 qm Bruttogeschossfläche

46.000 qm Wohnfläche, 

davon 30 % öffentlich gefördert

25.500 qm Gewerbefläche

Anvisierter Termin nach Bebauungsplanverfahren in den nächsten zwei Jahren: 

Fertigstellung 2025

 

Cologneo III

28.000 qm Wohnen und Gewerbe

Anvisierter Termin nach Bebauungsplanverfahren in den nächsten zwei Jahren: 

Fertigstellung 2023


Mülheimer Süden. Plan www.icon-design.de
Mülheimer Süden. Plan www.icon-design.de

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