Marktschwärmer Schäl Sick in Mülheim
von Tom Laroche
Foto: Eva Rusch
Mittwoch Abend 17.45 Uhr. Der Weg zu den Marktschwärmern führt unten am Rhein entlang von der Brücke stadteinwärts Richtung Lokschuppen. Dort findet heute eine sogenannte Marktschwärmerei statt, ein fester Treffpunkt, an dem Liebhaber*innen regionaler Spezialitäten aus Höfen und Manufakturen Waren unterschiedlicher Erzeuger abholen können, die sie ansonsten aufwendig von einer Vielzahl kleiner Hofmärkte abholen müssten.
Gekauft und bezahlt wird hierzu im Internet über das Portal www.marktschwaermer.de. Der marktähnliche Aufbau vor Ort dient neben der Abholung der Bestellungen zusätzlich dem Direktkontakt zwischen Käufer und Hersteller. So sind regelmäßig Inhaber oder Mitarbeiter der verschiedenen Fertigungsstätten anwesend und informieren gern über ihre Angebote.
Dem Besuch der seit Frühling diesen Jahres von Sonja und Finja betreuten Schwärmerei gingen eine Reihe unterschiedlicher Gespräche voraus: das zentrale Thema hierzu war: Was kann man konkret in Mülheim tun, um mit Hilfe eines bewussteren Konsums einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten? Dieser Frage stellen sich bereits seit Jahren eine ganze Reihe Kölner Gastronomen und bemühen sich um verantwortungsbewusste Angebote. So ist nicht nur das Restaurant Vreiheit dafür bekannt, vorrangig saisonale und regionale Speisen aufzutischen, gerne in Bio-Qualität. Ähnlich sieht es im stylisch-legeren Café jakubowski aus und auch das edle Willomitzer und andere informieren gerne über die Herkunft ihrer Lebensmittel, die eben nicht, wie die meisten Supermarktwaren quer durch die Welt geflogen oder verschifft wurden, sondern mit deutlich geringerem Transportaufwand von nahegelegenen Höfen bezogen wurden. Hierdurch wird in großem Maß der Ausstoß von CO2 (und diversen Schadstoffen) verringert. Ein anderer wichtiger Faktor ist die Produktion selbst, so hat etwa billiges aus Massentierhaltung gewonnenes und im Übermaß verzehrtes Industriefleisch eine katastrophale CO2-Bilanz; neben gesundheitlichen und ethischen Erwägungen ein weiterer, klarer Grund, diesen Konsum einzuschränken.
Diesen zentralen Aspekten haben sich seit einigen Jahren die Betreiber der französischen Muttergesellschaft des Marktschwärmer-Prinzips verschrieben, welches an Grundideen von Biomärkten und Solidarischer Landwirtschaft erinnert und doch anders ist: Alle Transportwege werden minimiert, an allen Produkten steht eine Kilometerzahl, die angibt, wie nahe der erzeugende Hof gelegen ist. Durch die genau geplante Bestellung wird das Transportvolumen klein gehalten.
An die Stelle eines klassischen Zwischenhändlers tritt das Onlineportal selbst zusammen mit ortsansässigen Gastgebern wie der sympathischen und auskunftsfreudigen Finja, die die Warenausgabe organisieren. Für Finja ist dieser Job eine Herzensangelegenheit. Sie und Sonja, die für Mülheim zuständig sind, investieren pro Woche rund 20 Stunden ihrer Zeit in das Projekt. Hierfür werden sie mit einem einstelligen Umsatzanteil an den Verkäufen geringfügig entschädigt; die Portalsbetreiber selbst nehmen mit 10 % ebenfalls nur eine überschaubare Provision, die ihnen die weitere Ausbreitung des ungemein erfolgreichen Systems ermöglicht (bislang über 1000 Standorte in Europa).
Dadurch, dass zu den festgesetzten Terminen nur abgeholt, aber keine Nebenverkäufe getätigt werden dürfen, entfällt der übliche Zwang einer örtlichen Verkaufslizenz, und so können Schwärmereien an nahezu jedem Ort durchgeführt werden, vornehmlich an Stellen, die wie in diesem Fall, unterstützt vom Inhaber des Lindgens Lokschuppens, mietfrei zur Verfügung gestellt werden. All dies sind die Garanten dafür, dass der Löwenanteil der Umsätze wirklich bei den Erzeugern landet, so dass diese mit den Einnahmen ihren Betrieb stabilisieren und sukzessive auf ökologisch verantwortungsbewusste Produktion umstellen können.
Was im ersten Moment angesichts der systemischen Nachhaltigkeit des Projekts euphorisch stimmen mag, ist allem bisherigen Erfolg zum Trotz, nur ein Anfang und leider auch in dieser Form so noch nicht massenkompatibel, auch wenn sich bereits jetzt dank attraktiver Waren die Umsätze schön entwickeln. Hohe Qualität muss man sich leisten können. Selbst für Finja wäre, so gern sie das täte, ein kompletter Umstieg auf Marktschwärmerwaren finanziell nicht möglich. Auch die unflexiblen Abläufe mit einer Festlegung auf ein enges Abholzeitfenster sind für einen Teil der Interessenten problematisch, deren berufliche Einbindung eine Teilnahme faktisch verhindert. So bleibt die Marktschwärmerei für viele vorerst ein „wilder Luxus“ (= Name einer teilnehmenden Erzeuger*innen), der für die kleinen Geldbeutel nur punktuell bezahlbar ist.
Und so kann zwar im Kleinen vielen engagierten Erzeugern der Überlebenskampf erleichtert werden, dies ersetzt aber nicht die Notwendigkeit, gesetzliche neue Rahmenbedingungen zu erkämpfen: für eine aktive Förderung nachhaltiger Produktion und Reduktion schädlicher Massenproduktion auf der einen Seite, und andererseits für mehr soziale Gerechtigkeit, damit Gutes nicht nur qualitativ und ethisch attraktiver, sondern auch für diejenigen bezahlbar wird, die finanziell ebenso kämpfen müssen, wie viele der teilnehmenden Erzeuger*innen der Schwärmereien.
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