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Freie Luft für freie Bürger*innen

Vorfahrt für das Grundrecht auf Gesundheitsschutz

Illustration: Eva Rusch

von Celio Limpia

Illustration: Eva Rusch

 

Bei der aktuell bundesweit hohe Wellen schlagenden Auseinandersetzung über „saubere Luft“ insbesondere frei von Stickstoffdioxid sind Justitias Waagschalen gut gefüllt. Im Vordergrund des medialen Interesses stehen meist die Rechte der Eigentümer*innen, Nutzer*innen und Halter*innen von Dieselfahrzeugen. Deren permanent lärmendes Wehklagen über

mögliche Fahrverbote (die wegen der hohen Werte am Clevischen Ring besonders in Mülheim drohen) fällt fast schon selbst unter das Bundesimmissionsschutzgesetz!

 

Zugegeben: Für die Wehklagenden streitet das Grundrecht auf Schutz des Eigentums aus Art. 14 des Grundgesetzes (GG). Denn wer das Pech hat, in einer Fahrverbotszone zu wohnen und nicht den neuesten Diesel mindestens Euro  6 besitzt, kann seinen Pkw nicht mehr bewegen. Auch weniger dramatische Einschränkungen der Mobilität, etwa durch Streckenfahrverbote, gehen zu Lasten der ebenfalls durch das Grundgesetz garantierten allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG). Außerdem sind durch die eingeschränkte Möglichkeit insbesondere des gewerblichen Kraftfahrzeugverkehrs Eingriffe in die Berufsfreiheit aus Art. 12 GG denkbar. Nicht zuletzt sichert der Lieferverkehr die wirtschaftliche Versorgung der Bevölkerung. Hier legen also schon einige Gewichte in der Waagschale.

 

Was steht nun dagegen? Ein wirkliches Schwergewicht! Bei der Luftreinhaltung sind die Folgen für die Gesundheit jedes/r einzelnen Bürger*in zu berücksichtigen. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG enthält das Grundrecht auf „Leben und körperliche Unversehrtheit“. Geschützt wird neben dem Leben an sich die Gesundheit im umfassenden Sinn. Dieses Grundrecht verpflichtet den Staat, Maßnahmen gegen Auswirkungen etwa von Immissionen zu ergreifen, welche die Gesundheit schützen und Gefährdungen verhindern. Zweck des für die Luftreinhaltpläne maßgeblichen Bundesimmissionsschutzgesetzes ist es entsprechend, Menschen, Tiere und Pflanzen, den Boden, das Wasser, die Atmosphäre sowie Kultur- und sonstige Sachgüter vor schädlichen Umwelteinwirkungen zu bewahren und dem Entstehen schädlicher Umwelteinwirkungen vorzubeugen. Welches Niveau einzuhalten ist, misst sich beim Menschen am körperlich Schwächsten, also kleinen Kindern oder sehr alten Menschen.

 

 

Zu einem wirklichen „Pfund“ wird das Grundrecht auf Schutz der Gesundheit aber erst durch europäische Gesetze. Nach der einschlägigen „Feinstaub-Richtlinie“ muss an sich seit 2010 für Stickstoffdioxid ein Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter im Jahresmittel „schnellstmöglichst“ eingehalten werden – nur dann ist die Gesundheit nicht gefährdet. Dieser wurde an der Messstation am Clevischen Ring viele Jahre mit um die 60 Mikrogramm im Jahresschnitt deutlich überschritten. Vor allem wegen der Verkehrsbeschränkungen auf der Mülheimer Brücke sind die Werte in 2019 gesunken. Nach der Prognose im Luftreinhalteplan sollen sie mit allen Maßnahmen (auch Fahrverboten) 2020 aber noch 44 Mikrogramm betragen.

 

Bei der Frage, welche Maßnahmen zur Reduzierung ergriffen werden müssen, kommt nun vor den Gerichten die Waage zum Einsatz. Nach dem verfassungsmäßig immer zu beachtenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit werden die genannten Grundrechte gegeneinander abgewogen: Welche Alternativen zu Fahrverboten (z. B. neue Mobilitätskonzepte, verkehrslenkende Maßnahmen) zur Zielerreichung gibt es? Wenn Fahrverbote unumgänglich sind: welche zeitlichen Staffelungen bzw. Übergangszeiträume nach Schadstoffklassen und welche Ausnahmen (etwa nachgerüstete Fahrzeuge, Anwohner*innen, Handwerker*innen) sind vorzusehen? Ist zu berücksichtigen, dass die Gesundheit durch prognostizierte kurze Überschreitungen weniger beeinträchtigt wird?

 

 

Jede Menge Material also, das in die Waagschalen geworfen wird. Die Richter*innen brauchen einen klaren Blick und vor allem eine ruhige Hand. Am 12. September wird das Oberverwaltungsgericht in Münster über den Kölner Luftreinhalteplan entscheiden. Besser noch: öfter mal „grüne Welle“ für das Grundrecht auf „körperliche Unversehrtheit“. 


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