Genoveva-Brunnen
Von Lukas Stahl
Foto: Eva Rusch
Genovevastraße Obwohl ich weiß, dass ihr Blick seit mehr als einem Jahrhundert der exakt Gleiche ist, werde ich das Gefühl nicht los, dass er sich im Laufe der Zeit mehr und mehr gesenkt hat. Seit fünf Minuten schon schaue ich ihr in die Augen, oder versuche es zumindest, denn sie schaut konsequent weg, geradezu steinern in den Boden. Als wurde sie zutiefst enttäuscht und irgendwie verraten. Wenn ich mich hier so umsehe – ich kann Genoveva verstehen. Denn wieder habe ich den Fehler gemacht und mir ein historisches Foto des Genoveva-Brunnens mitsamt seiner damaligen Umgebung angesehen. Ein „Clevischer Ring“, fast schon ein Prachtboulevard, Weitläufigkeit gesäumt von ziervollen Gründerzeitbauten und dann ab 1914 mit dem Brunnen als zentralem großstadtstiftenden Element. Und heute?
Nun gut, zumindest ist der Brunnen von etwas Grün umgeben und eingefasst in eine Zierballustrade ist er auch, aber irgendwie ... dominiert auch hier der Verkehr und nichts anderes. Grund genug den Blick zu senken, wäre da nicht noch eine ganz andere Geschichte, ja gar eine Legende, die gerade in den heutigen Zeiten von Fake-News & Co aktueller denn je scheint. Die dargestellte Szenerie des Brunnens erzählt die Geschichte der zu Unrecht beschuldigten und zu Tode verurteilten Genoveva, die nur durch die Barmherzigkeit des Henkers überlebte und fortan, allein mit ihrem Kinde, ein Leben in der Abgeschiedenheit des Waldes führen musste. Nur weil ein von ihr verschmähter Verehrer Lügen und Gerüchte über sie in die Welt gesetzt hatte. Würde Genoveva ihren Blick aufrichten, müsste sie feststellen, dass die Welt auch darin wohl kaum Besserung erfahren hat. Und dennoch, sie scheint nicht verzweifelt oder gar gebrochen, zu stolz und aufrecht lehnt sie am Rücken der Hirschkuh. Sie hat die Hoffnung nicht verloren. Nicht in den sechs Jahren allein im Wald bis sie befreit wurde und auch nicht die auf bessere „Aussichten“ hoch oben von ihrem Brunnenplateau am Clevischen Ring in Köln-Mülheim. So will ich es zumindest interpretieren. Dafür spricht, dass der Brunnen nach einer im wahrsten Sinne des Wortes langen „Durststrecke“ seit nunmehr einem Jahr wieder Wasser führt. War Wasser nicht sogar der Ursprung neuen Lebens? Genoveva würde es sicher freuen…
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