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Goldene Zeiten?

Geschichte der Berliner Straße

Kioskbesitzer Karadin in seinem Kiosk vor der goldenen Decke.
Die Kundschaft von Kioskbesitzer Karadin hängt so sehr an der goldenen Decke, dass Karadin doch nicht renovierte.

von Vera Sturm 

Fotos: Eva Rusch

 

Als ich das erste Mal auf der Berliner Straße für eine Wohnungsbesichtigung war, hatte ich das Gefühl eine Zeitreise gemacht zu haben. Die breiten Bürgersteige und die alten Häuser gaben mir das Gefühl nicht mehr im beengten Köln, sondern in einer Großstadt zu Beginn des 20. Jahrhunderts, zu sein. Immer wieder höre ich, was es auf der Berliner Straße früher für Geschäfte gab und wie stolz die Menschen in Mülheim-Nord auf ihr Quartier mit der großen Kaserne an der Hacketäuerstraße waren. Momentan kann man zwischen Friseur, Kiosk und Spielhalle wählen. 

 

Das Drei Kaiser Haus an der Berliner Straße. Foto: Eva Rusch
Das Drei Kaiser Haus an der Berliner Straße.

Seit einem Jahr wohne und arbeite ich hier und der hohe Altbaubestand hat mich neugierig gemacht. Wie war Mülheim, als diese Häuser erbaut wurden? Wer lebte hier? Die Altbauten veranlassen uns gerne zum Träumen, dabei lebten um die Berliner Straße viele Arbeiter*innen, während die Fabrikbesitzer sich eher auf der Düsseldorfer Straße eine Villa bauten. 


Höchstwahrscheinlich war damals die Luft durch die Fabrik auf der Schanzenstraße oder das Walzwerk am Clevischen Ring schlecht, das Leben um einiges unhygienischer und der Güterbahnhof an der Markgrafenstraße war nicht zu überhören.

 

Mülheim am Rhein, was war das überhaupt für eine Stadt? 1914 wurde Mülheim erst ein Teil von Köln und war vorher eine eigenständige Stadt, die auf eine fast 1000jährige Geschichte zurückblicken konnte und immer eine große Konkurrentin für Köln war. Im Gegensatz zu Köln gab es dort Religionsfreiheit und später genügend Platz für die Fabriken, die Mülheim zu einer reichen Stadt machen sollten. Durch die wachsende Industrie verzehnfachte sich die Stadt von 1850 bis 1914 auf 56.000 Einwohner*innen. 

 

Auch damals gab es schon nicht genügend Wohnraum, weshalb man die Altstadt, die zwischen Rhein und Clevischem Ring liegt, durch die Neustadt-Ost an der Frankfurter Straße und die Neustadt-Nord an der Berliner Straße erweiterte.

 

Die Berliner Straße war, bevor man mit der Bebauung anfing, eine Handelsstraße, die bis nach Wermelskirchen führte und deshalb Wermelskirchener Straße hieß. Da Mülheim am Rhein zu Preußens gehörte, benannte man die Straße nach der Reichshauptstadt. Unvorstellbar ist es heute, dass früher eine Straßenbahn über die Berliner Straße fuhr, an manchen Häusern kann man noch die alten Befestigungen davon sehen. 


Ende des 19. Jahrhunderts wurden auf der Berliner Straße die ersten Häuser gebaut. Die meisten von ihnen sind klassische Drei-Fenster-Häuser, die in dieser Form erbaut wurden, da ihr Grundriss den Erbauer von der Steuer befreite. Auch in anderen ehemaligen Arbeitervierteln wie Ehrenfeld oder Nippes findet man diese Häuser, man könnte sie fast als Reihenhäuser bezeichnen. 

 

Die Recherche für diesen Artikel hat mich zu den Grevens Adressbüchern geführt, die digital einsehbar sind und in denen es ein Straßenregister mit Einwohner*innen gibt. Teils haben diese Bücher über 1000 Seiten, weshalb die Freude um so größer ist, wenn der passende Eintrag gefunden wurde. Wer lebte im 20. Jahrhundert auf der Berliner Straße? Welche Geschäfte gab es? Die Mülheimia ist heute in einem Drei-Fenster-Haus in der Nr. 67 beheimatet und meine Recherche zeigte, dass dort über 30 Jahre lang eine Bäckerei war, was man auch heute noch an der Durchreiche erkennen kann. Direkt neben der Mülheimia ist heute der Bürgerpark Mülheim, wo vor dem Krieg eine Schule stand, was die Form des kleinen Parks erklärt.

 

Kinos waren, bevor man zuhause einen Fernseher hatte, sehr beliebt, weshalb es in der Berliner Straße Nummer 27–29 das Kino „Moderne Theater“ gab. Auch der Schützenverein, der in Mülheim eine lange Tradition hat, prägte die Berliner Straße. Von ihr geht die Schützenhofstraße ab und in den Neubauten, wo heute der Rossmann drin ist, hatten sie früher ihre Festhalle. Auch der Marktplatz findet sich in einem Verzeichnis der Wochenmärkte der Stadt Köln als „Schützenplatz“. Im Digitalen Historischen Archiv Köln finden sich Dokumente, aus denen zu entnehmen ist, dass dort einst eine Turnhalle mit Gastronomie stand, die die Stadt von dem Verein erwarb.

 

An die Zugehörigkeit zur preußischen Rheinprovinz erinnert auch die Fassade des „Drei Kaiser Hauses“, Berliner Straße Nr. 46. Vermutlich wurde das Haus um das Drei Kaiser Jahr 1888 erbaut, da die drei Kaiser Wilhelm I., Kaiser Friedrich III. und Kaiser Wilhelm II. (von unten nach oben) in der Fassade verewigt sind. Alte Fotos des Hauses zeigen, dass sich früher im Erdgeschoss eine Zuckerwarenhandlung befand, die „Gala Peter“ verkaufte, eine der ersten Vollmilchschokoladen, die das Milchpulver von Nestlé verwendete. Heute befindet sich dort schon lange ein Kiosk, dessen besondere goldene Decke irgendwie immer noch an Schokolade erinnert oder eher an Willy Wonka. 

 

Heute verbinden die Kölner*innen mit der Berliner Straße insbesondere den Kulturbunker, der als Hochbunker 1943 mitten im Zweiten Weltkrieg von sowjetischen Zwangsarbeiter*innen erbaut wurde. Nach dem Krieg gab es große Unsicherheit, wie mit Bunkern umgegangen werden sollte, da noch nicht abzusehen war, ob es bald einen weiteren Krieg geben würde. In Bunkern lebten deshalb häufig Obdachlose. Ab 1948 wurde der Hochbunker ein Hotel mit Gastronomie und einem großen Saal für Veranstaltungen. Der Verein Kulturbunker Mülheim e. V. setzte sich 2000 für seine Erhaltung und Umbau ein, weshalb er heute unter Denkmalschutz steht und ein wichtiger Ort für die Mülheimer Kulturszene ist.



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Kommentare: 3
  • #1

    Wally Röhrig (Samstag, 03 September 2022 22:54)

    Danke für diesen Bericht. Ich bin in der von SparrStr .( zwischen Markgrafen und Berliner Str) aufgewachsen ( 1945 bis 1956). Ich habe die Volksschule in der Tiefenthaler Str. ( in der Kaserne) besucht und gehörte zur Gemeinde Sankt Antonius.
    Ich habe sehr gute Erinnerungen an die Berliner Str. und überhaupt an die Geschichte des Veedels, die Fabriken , die Geschäfte und Mülheim überhaupt. Ich bin 1941 im damaligen Dreikönigskrankenhaus geboren . Mein Vater stammt aus einer alten Dünnwalder Familie, meine Mutter aus Füssen ich/ Zülpich. Mein Großvater arbeitete bei Lindgen ( Farben und Lacke) in Mülheim in der Au damals.
    Ja so war das mit uns und Mülheim früher…

  • #2

    Mülheimia Quarterly (Sonntag, 18 September 2022 14:30)

    Liebe Wally Röhrig,

    vielen Dank für Deine Erinnerungen.

    Viele Grüße von der Berliner Straße

  • #3

    Michael von Jäger (Dienstag, 05 Dezember 2023 01:17)

    Danke dem Kulturkreis Mülheim am Rhein und derKG Jan Wellem van Werth