Katholische Märtyrer in der NS-Zeit aus Köln-Mülheim
„Eine Person, die daran denkt Mauern anstatt Brücken zu bauen, ist nicht christlich. Das ist nicht das Evangelium.“
(Papst Franziskus, Mexiko-Reise, Februar 2016 in Bezug auf Pläne Trumps, eine Mauer zwischen USA und Mexiko zu bauen)
Manchmal reichen wenige Worte, um zu Tode zu kommen. Entscheidend sind allein die Umstände; zu welcher Zeit man etwas sagt, und insbesondere, ob die unerwünschte Äußerung in einer liberalen Demokratie oder in einem totalitären Staat fällt. Eine Rolle spielen kann auch, zu wem und wie man etwas sagt. Wir haben Glück, derzeit hier in einem Staat zu leben, in dem Meinungsfreiheit im Grundgesetz garantiert ist und jeder sagen kann, was er will, soweit er die Rechte anderer achtet oder nicht als Zeuge vor Gericht zur Wahrheit verpflichtet ist.
In der Zeit des Nationalsozialismus herrschten bekanntlich andere Gesetze. Bereits im März 1933 wurde das „Gesetz zur Abwehr heimtückischer Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniform“ (sogenannte Heimtückgesetz) erlassen, nach dem jeder, der „öffentlich gehässige, hetzerische oder von niedriger Gesinnung zeugende Äußerungen“ über die NSDAP, den Staat oder Hitler machte, mit bis zu zwei Jahren Haft bestraft werden konnte. Ab 1939 waren nach der sogenannte Kriegssonderstrafrechtsverordnung defätistische Äußerungen dann mit dem Tode bestraft.
Die NS-Diktatur nahm bekanntlich schon früh nach der sog. Machtergreifung politische Gegner ins Visier, vor allem Kommunisten, Mitglieder der SPD und anderer verbotener oder unerwünschter Parteien oder Anhänger anderer politischenr Richtungen. Weniger Allgemeingut ist, dass viele katholische Christen, Priester, Ordensangehörige und viele Laien wegen systemwidriger Bemerkungen, widerständigem Verhalten oder sogar der Beteiligung am politischen Widerstand ebenfalls verhaftet, gefoltert und getötet wurden. Im Konzentrationslager Dachau (KZ Dachau) wurden in der NS-Zeit 3.000 Gläubige inhaftiert, 1.000 davon kamen zu Tode.
Die katholische Kirche hat bis heute viele dieser Opfer des NS-Regimes zu sog. Märtyrern erklärt, einer Vorstufe für eine Selig- oder Heiligsprechung. Diese mussten für eine offizielle kirchliche Anerkennung eines gewaltsamen Todes gestorben und wegen ihres Glaubens verfolgt worden sein sowie bewusst Zeugnis für den christlichen Glauben abgelegt haben.
Dies traf etwa auf den von 1927 bis 1932 in der katholischen Pfarrei Herz-Jesu in Köln-Mülheim tätigen Kaplan Johannes Flintrop zu, dem eine unbedachte Äußerung im Jahr 1942 von der Pfarrkanzel zum Verhängnis wurde, er war zu dieser Zeit Kaplan in Mettmann. Aufgrund einiger kriegskritischer Äußerungen („Den Krieg gegen Russland haben wir noch nicht gewonnen“, bei einem Krankenbesuch) war er der Gestapo (Geheime Staatspolizei der Nazis) bereits ein Dorn im Auge. Deren Schergen lauerten schließlich überall. In den Kirchen schrieben sie regelmäßig die Predigten katholischer Pfarrer mit (sicher so auch in den Kirchen in Köln-Mülheim), um sie auf das System oder den Krieg ablehnende Bemerkungen zu untersuchen.
Bei einer seiner Predigten 1942 rief der freimütig und wohl auch ein wenig unbedacht auftretende Kaplan Flintrop dem hinter der Orgel versteckten, heimlich mitschreibenden – Gestapomann zu: „Dann schreiben Sie das auch richtig mit“. Dies war seine letzte Predigt. Wegen dieser und anderer in den Augen der Nazis staatsfeindlichen und nach genannten Willkürgesetzen dieses Unrechtstaates vermeintlich strafbaren Äußerungen wurde er inhaftiert und im Mai 1942 ins KZ Dachau überstellt, wo er angeblich aufgrund einer bakteriellen Entzündung schwer erkrankte und an den Folgen starb. Die Urne wurde an seine Gemeinde Mettmann überstellt, wo ihn viele Gläubige in einer Art stillen Protest gegen das Regime würdevoll und sein Wirken anerkennend beerdigten.
Auch in Köln wurden kirchliche Zeremonien genutzt, um deutlich zu machen, dass man mit Hitler nicht einverstanden war. So stellten vor allem die Prozessionen zu Fronleichnam, wie auch die Mülheimer Gottestracht, eine Art stillen Protestzug mit tausenden Gläubigen. Parteimitglieder der NSDAP standen am Straßenrand und notierten sich fleißig, wer daran teilnahm. Spätestens 1938 wurden die Prozessionen in Köln verboten.
Einer, der es sich nicht nehmen ließ, die weiter unmittelbar um die Kirche ziehenden Gläubigen zu begleiten, war der 1898 in Köln-Mülheim geborene Vikar Heinrich Richter, der hier auch das Gymnasium besuchte. Nach seinem Studium wurde er 1922 zum Priester geweiht und war zunächst Kaplan in Wuppertal und Düsseldorf. 1931 kehrte er als Präses der Kolping-Familie nach Köln zurück und begann sich sogleich mit der NS-Ideologie kritisch auseinanderzusetzen. Er wählte offen und bewusst nicht die NSDAP. Damit befand er sich auf der bis 1933 noch scharfen und klaren Linie der katholischen Kirche gegen den Nationalsozialismus.
Obgleich das sogenannte Reichskonkordat ab 1934 eine Art Burgfrieden zwischen Kirche und NS-Regime herstellte, blieb die Kirche für viele Priester und Gläubige eigenständiger Zufluchtsort und Basis für Opposition und Widerstand. Die Wallfahrten zum Grabe Kolpings in Köln (1938: 310.000) wurden beispielsweise von der Gestapo als politische Opposition betrachtet, was für die Kolpingverbände zu weiteren Einschränkungen und Verboten führte. Gleichwohl bildete sich 1944 in der Kölner Verbandszentrale ein oppositioneller Kreis, dem auch Gewerkschaftler und Zentrumspolitiker angehörten.
Der Kreis wurde denunziert; die Gestapo verhaftete nach dem fehlgeschlagenen Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 alle Mitglieder. Präses Richter, neben dem Geschäftsführer Theodor Babilon (nach diesem ist eine Straße in Köln-Deutz benannt), einer der führenden Köpfe des Kreises, wurde zunächst im sog. EL-DE-Haus, der Gestapozentrale am Appellhofplatz, danach im KZ-Außenlager in Deutz und im Kölner Klingelpütz inhaftiert. Von dort aus wurde er mit 300 anderen Männern im Januar 1945 in das KZ Buchenwald transportiert, wo er im April 1945 wenige Wochen vor Kriegsende an Hunger und Misshandlungen verstarb.
Ebenfalls im KZ kam der Jesuitenpater Augustin Benninghaus zu Tode, wie Kaplan Flintrop im KZ Dachau, nur wenige Wochen früher, nämlich im April 1942. Benninghaus, wurde 1880 in Nähe von Osnabrück geboren. Nach seiner Priesterweihe 1913 war er zunächst u. a. Militärseelsorger, später engagierte er sich nach dem 1. Weltkrieg im Rahmen der Jugendarbeit im Bund Norddeutschland auch in Köln-Mülheim. Danach war er als sogenannter Exerzitienmeister in Münster tätig.
1938 wurde wegen abfälliger Bemerkungen über den Nationalsozialismus gegen ihn ein Strafverfahren wegen Vergehens gegen das Heimtücke-Gesetz eingeleitet. Er hatte geäußert, dass die Kirche schon viele Reiche überdauert habe. Das beim Sondergericht in Dortmund angestrengte Verfahren endete mangels Beweisen im Oktober 1939. Im Juni 1941 wurde er abermals von der Gestapo in Münster wegen angeblich staatsfeindlicher Äußerungen verhaftet. Am 11. März 1942 wurde Pater Benninghaus in das KZ Dachau verlegt, wo damals die katholischen Priester in einem sog. Pfarrerblock zusammengezogen wurden. Infolge Hungers und Schwäche verschlechterte sich sein körperlicher und geistiger Zustand immer mehr, bis er schließlich in das Krankenrevier eingeliefert wurde. Am 20. Juli 1942 verhungerte er.
Wilhelm Engel, Sekretär der 1933 verbotenen kirchennahen Zentrumspartei, zählte zur Gruppe der Laien, die nach den genannten Kriterien ebenfalls als kirchliche Märtyrer anerkannt wurden. Engel wurde 1881 im Rheinisch-Bergischen-Kreis im heutigen Overath geboren. Als gelernte Maschinenschlosser nahm er verschiedene Arbeiten an, so auch einige Zeit in einer Sattelfabrik in Köln-Mülheim. Ab 1909 wurde er Gewerkschaftssekretär in Bochum beim Christlichen Metallarbeiterverband und 1919 für die Zentrumspartei in den Bochumer Rat gewählt. 1933 verlor er mit Auflösung der Zentrumspartei durch die Nazis seine Sekretariatsstellung. Auch hier verrieten eingeschleuste Spitzel ihn und weitere Parteimitglieder. Er war Mitglied der Vinzenzkonferenz der Franziskanerpfarrei Christkönig. Als ein Gestapo-Spitzel NSDAP-kritische Gespräche der Vinzenzbrüder verriet, wurde er im Juli 1944 mit zwei Patres und acht weiteren Vinzenzbrüdern verhaftet. Sie wurden dem Haftrichter vorgeführt und ins Untersuchungsgefängnis des Landgerichts Bochum verbracht. Am Volksgerichtshof Berlin wurde er später als Wehrkraftzersetzer und als Staatsfeind angeklagt.
Am 15. April 1945, auch hier kurz vor Kriegsende, verstarb Engel, eine Familie hinterlassend, im Untersuchungsgefängnis Berlin-Moabit. Obwohl die genauen Todesumstände unklar sind, gilt es als wahrscheinlich, dass er dort 1945 ermordet worden ist.
Der todesmutige Widerstand aller vier genannten christlichen Opfer des NS-Regimes, von der Kirche als Märtyrer geehrt, werden ausführlich in dem zweibändigen Werk „Zeugen für Christus. Das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts“ (6. Aufl. 2015, ISBN 978-3-506-7808-5, 2 Bände, 1828 S.). Erstellt hat dieses beeindruckende Werk im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz der Kölner Priester und Historiker Prof. Dr. Helmut Moll. Dieser hat die „Mülheimia“ auf die beschriebenen Märtyrer aufmerksam gemacht, die besondere Beziehung zu Köln-Mülheim haben. Zu nennen ist deswegen auch noch die Missionsschwester Isburga Faulstich, die im März 1945 auf den Philippinen, wo sie seit 1943 für den Steyler Orden missionierte, und nach einem gezielt auf die Mission gerichteten Bombenangriff durch Japaner ums Leben kam. Sie hatte nach der Volksschule ihre Gymnasialzeit in Köln-Mülheim verbracht.
Kürzere Lebensporträts von Kaplan Flintrop und Vikar Richter sind in dem kleinen erschwinglichen Buch „Wenn wir heute nicht unser Lebens einsetzen...“, Martyrer des Erzbistums Köln aus der Zeit des Nationalsozialismus (Helmut Moll, 7. Auflage 2016) enthalten. Die Lebensbilder von 30 Märtyrern des Erzbistums werden auf zahlreichen Bildtafeln und schriftlichen Dokumenten in einer Wanderausstellung eindrucksvoll dargestellt. Es wäre schön, wenn diese Ausstellung auch einmal in Köln-Mülheim gezeigt werden könnte.
Die Feuer der Opferbereitschaft und der Einsatzmut der christlich motivierten Pfarrer, Ordensschwestern, Kolpingsekretäre oder Zentrumspolitiker in der Zeit des Nationalsozialismus leuchten bis in heutige Zeiten. Sie sind Ansporn und Vorbild, uns täglich für Toleranz, Verständnis und Menschenwürde zu engagieren und gegen Rechtsradikalismus, Gewalt, Hass und politische Dummheit zu Wehr zu setzen. Hüten wir ihr und das Vermächtnis der anderen Opfer des Nationalsozialismus. Lassen wir es nie wieder so weit kommen. Seien wir wachsam und mutig.
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