Urban Gardening im Hof des Peter-Baier-Hauses
von Tom Laroche
Foto: Eva Rusch
Wie komplex die Strukturen einer Großstadt sind, wird einem oft erst dann bewusst, wenn sich an einer Stelle, die man zuvor nie so richtig wahrgenommen hat, etwas ändert. So wird es manchem Besucher des Peter-Baier-Hauses in der Wallstraße gegangen sein. Sah man von innen letztes Jahr noch auf einen vergleichsweise tristen Innenhof ohne allzu ersichtliche
Funktion, so erblickt man dort nun merkwürdige, in einem Halbrund aufgestellte Holzkästen und Dienstags nachmittags finden sich hier Menschen unterschiedlichen Alters ein, um sich um diese Kästen zu kümmern, in denen es nun mehr und mehr grünt.
Was hier im Frühling gestartet wurde, ist ein neues Projekt der evangelischen Kirchengemeinde, der sowohl das Grundstück als auch die Immobilie gehört. Pfarrer Sebastian Baer-Henney, seit September letzten Jahres im Amt, wurde oft gefragt, was denn mit dem vernachlässigten Grundstück passieren solle, und machte sich auf Ideensuche. Hierbei erinnert er sich an ein außergewöhnliches Projekt einer Kirche in England, bei der eine Gemeinde anfing, unter dem Namen „Paradise Cooperative“ öffentlichen Raum in Wandsworth mit Gartenarbeit zu erschließen und neu zu gestalten. Vielleicht auch ein Ansatz für den kargen Hinterhof?
„Urban Gardening“ nennt man solche Initiativen, und man muss dazu nicht einmal ein Hipster sein, denn das Begrünen und Begärtnern städtischer Flächen ist ungefähr so alt, wie die Struktur einer Stadt an sich. Neben klassischen Parkanlagen, spielte selbst oder gerade in Metropolen auch die Kultivierung von Obst und Gemüse in vergangenen Jahrhunderten eine sehr wichtige Rolle. Anders als heute, war es früher nur schwer möglich, leicht verderbliche Obst- und Gemüsesorten in eine Großstadt einzuführen, daher ist man dazu übergegangen, diese auch innerhalb der Stadtgebiete anzubauen. So wurde z. B. im Paris des 19. Jahrhunderts etwa ein Sechstel der Stadtfläche sogar in Vierteln wie dem berühmten Marais, „landwirtschaftlich“ erschlossen. In Krisenregionen werden bis heute städtische Flächen zur Sicherung der Lebensmittelproduktion genutzt, damit etwa die Versorgung von Menschen, die sich aus Bürgerkriegsregionen in sicherere Stadtgebiete flüchten, sichergestellt werden kann.
In Friedenszeiten in einem Land mit guter Infrastruktur sind die Beweggründe der Großstädter*innen, ihr Umfeld zu bepflanzen, freilich andere. Es geht hier weniger um die Ernteerträge. Das hat auch Pfarrer Baer-Henney erkannt, der auf die Frage seiner Intention mit einem Appell antwortet: „Stell Dir einen Garten vor, in dem Menschen zusammenkommen, die sonst nicht zusammenkommen würden.“ Dieses Anliegen, den sozialen Zusammenhalt in seiner Gemeinde und darüber hinaus, zu fördern, war eine der Grundideen für „Peters Großstadtgrün“. In Zeiten des Mietwuchers und steigendem Leistungsdruck, ist es für viele Menschen nicht möglich, einen eigenen Garten zu betreiben. Alternativ einen Schrebergarten auch nur zu bekommen, wäre da ebenfalls schon ein erstes großes Hindernis, aber viele hätten auch nicht genug Zeit, einen solchen sinnvoll zu bepflanzen. Für ältere Menschen würde dies zudem eine kaum zu überwindende körperliche Hürde darstellen.
All dies muss die Teilnehmer*innen des neuen Gartenprojekts nicht kümmern: Offen für alle Generationen und Menschen jeden Glaubens oder Unglaubens, steht bei „Peters Großstadtgrün“ die Gemeinschaft und der persönliche Ausstausch im Vordergrund. Gefördert von der evangelischen Kirche, stehen den bislang etwa 20 engagierten Mülheimer*innen, mehrere Hochbeete zum Bepflanzen zur Verfügung. Die Teilnahme ist hierbei sowohl kostenlos als auch freiwillig. Jeden Dienstag um 15 Uhr trifft man sich für einige Stunden; alle zwei Wochen findet im Anschluss unter dem Motto „Traulich und Hold“ zudem eine Abendandacht statt. Geerntete Lebensmittel werden gemeinsam zubereitet und verzehrt. Im weiteren Verlauf der Woche kümmern sich einzelne Teilnehmer*innen nach Absprache um die Beete und deren Bewässerung. Die Aufzucht und Pflege von Blumen, Kräutern, Obst und Gemüse ist Teil des weltoffenen Gemeindelebens geworden und zeigt, wie Kirche im 21. Jahrhundert aussehen kann.
Ob die Gemeinde wohl irgendwann auch physisch jenes biblische Senfkorn aussäen wird, aus welchem dann ein großer Baum erwächst? Im übertragenen Sinn ist dies längst geschehen und man kann jetzt schon erkennen, welchen wertvollen Beitrag zur Lebensqualität des Stadtteils eine kleine Truppe engagierter Veedelsbewohner hier leistet. Wer an näheren Informationen interessiert ist, der kann im Internet den Blog der Gruppe aufrufen und sich auf www.peters-grossstadtgruen.de auf dem Laufenden halten.
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