Die evangelische Friedenskirche geht neue Wege
von Kenan Zöngör
Fotos: Eva Rusch
Alt-Mülheim. Ganz Köln ist katholisch. Ganz Köln? Das ist nur ein Klischee. Denn jeder fünfte (laut Statistischem Jahrbuch Köln 2016) ist hier Protestant. Bei den 240 Kirchen in Köln ist der Anteil sogar noch höher; jede dritte Kirche ist eine evanglische. Ein weiteres Klischee lautet, Protestanten und ihre Bauwerke seien bescheiden bis nüchtern – oder gar langweilig. Angesichts dessen erscheint es logisch, dass viele Kölner*innen nicht wissen, wo die nächste evangelische Kirche ist. Auch in Mülheim wissen die spontan Befragten nicht, ob die genannte Kirche evangelisch ist: „Jibbet hee nit, oder?“
Die Friedenskirche in Mülheim scheint auf den ersten Blick die Klischees zu bestätigen. Sie liegt zurückhaltend auf der Wallstraße und zeigt dem Passanten nur ihre Schulter. An der ockerfarbenen Fassade mit dem kleinen Turm geht es sich schnell vorbei. Viele Mülheimer kennen sommers den kleinen Biergarten des vis-a-vis gelegenen Cafés. Hier sitzen dann viele Nachbarn und Freunde bis spät abends und beleben die Straße auf vermeintlich wenig protestantische Weise.
Damit beginnen die Vorurteile auch schon zu bröckeln: Die evangelische Gemeinde Mülheim beherbergt das Café im Gemeindehaus mit dem Ziel, Straße und Stadtteil lebendiger und lebenswerter zu machen. In der Friedenskirche selbst wird neben Gottesdiensten und Seelsorge auch Kultur geboten. Das Angebot umfasst Lesungen, Kunst und Kino. Im Mittelpunkt steht aber die Musik. Der Reformationstag war in diesem Zusammenhang ein besonderer in mehrerlei Hinsicht. Nachdem Mängel die alte Orgel außer Betrieb setzten und eine Restauration unverhältnismäßig gewesen wäre, konnte am 31. Oktober 2017 die neue Orgel eingeweiht werden.
Mit Nüchternheit oder Langeweile hatte dies wenig zu tun, denn die neue Orgel wurde von Gerald Woehl gebaut, einem der besten Orgelbauer weltweit. Auch die Intonation des Instruments, seine klangliche Einpassung in den Kirchenraum, hat Baumeister Woehl eigenhändig durchgeführt.
Der Musikdirektor der Gemeinde, Christoph Spering, ist begeistert: „Viele Orgeln sind für eine bestimmte Musikrichtung ausgelegt, etwa Barock oder Romantik. Eine vielseitige Orgel, die allen Anforderungen gleichzeitig gerecht werden kann, schien bislang nicht möglich. Aber unsere Orgel leistet die Quadratur des Kreises!“ Seine Begeisterung ist bemerkenswert, denn als zweifacher Echogewinner Klassik arbeitet er auf höchstem Niveau. Selbst Domorganist Winfried Bönig ist beeindruckt. Er konnte die Orgel während der Festtage zur Reformation ausprobieren: „Mit dieser Orgel kann ich Sachen spielen, die ich auf der Domorgel nicht hinbekommen würde …“
Die Vorsitzende des Kulturausschusses Christiane von Scheven erläutert die Entscheidung des Presbyteriums für den Neubau: „Wir haben uns in erster Linie für eine Kirchenorgel entschieden, die ihre zentrale Funktion im Gottesdienst einnehmen kann. Unsere Orgel ist aber so vielseitig, dass wir sie auch für Konzerte nutzen können.“ In den nächsten Monaten wird die Orgel unter anderem ihre Karnevalstauglichkeit beweisen, wenn es im Januar heißt „Orgel goes Jeck“. Im März verbindet sie Klangwelten unter dem Motto „Orgel goes Türkiye“.
Allerdings gilt es noch eine besondere Herausforderung zu bewältigen, da die Orgel jetzt zu zwei Dritteln ausgebaut ist. „Es fehlen noch die teuren Pfeifen“ neckt Christoph Spering. Die Gemeinde baut auf die Unterstützung der Musikfreunde, die durch Spenden die Komplettierung der Orgel ermöglichen können. Man kann Orgelpate für Pfeifen oder Tasten werden oder eine Flasche „Orgelwein“ erstehen. Von Scheven ist überzeugt, dass der Ausbau gelingt, denn Gemeinde und Kulturfreunde seien sehr engagiert. Die feste Verankerung der Kirche im spirituellen und kulturellen Leben des Stadtteils zahle sich aus.
Wie der Domorganist erst reagiert, wenn er die voll ausgebaute Orgel spielen kann, wird zu sehen sein … ≈
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