Ana Bolena Kolumna
von Ana Bolena Müller
Foto: Eva Rusch
Schon zu Beginn meiner Zeit in Mülheim hat sie mich beeindruckt – ihr Stil, immer originell. Man spürt ihre Gestaltungskraft in ihrer alltäglichen Erscheinung.
Anfang März ging ich gegen 16 Uhr eilig den dunklen Zugang zur U-Bahnstation am Wiener Platz hinunter – von der Bucheimer Straße aus, wo wieder viele junge Menschen auf den Bänken saßen. Eine einsame traurige Frau, andere Personen in einer Gruppe plaudernd. Ich versuchte, sie nicht zu beobachten, oder besser gesagt, mich nicht wieder zu fragen: Warum sitzen sie jeden Tag hier?
Dann, plötzlich kommt sie mir mit harmonischen und sicheren Schritten entgegen. Sie tritt aus dem düsteren Untergrund und erstrahlt, wie eine Erscheinung aus einer anderen Welt. Ich bin so glücklich, dass ich fast vergesse, wie eilig ich es habe, die Bahn zu nehmen.
Auf der Mülheimer Brücke erinnere ich mich an eine Begebenheit im letzten Sommer als ich im Hof des Café Vreiheit saß. Nicht irgendwo, sondern auf dem besten Platz, den es dort gibt: in der grünen Laube, umrankt von Kiwi. Sie erschien mit Händen und Armen voller Blumen und Pflanzen. Und trotzdem schaffte sie es, eine Tür zu öffnen, die ich nicht einsehen konnte. In meiner Phantasie eine Tür zu einer magischen Welt, die Tür zum Häuschen einer Fee voller Pflanzen, Blumen und Sternen in den Fenstern, die sich nach dem Himmel ausrichten. Ende März lässt es mir keine Ruhe, ich frage den Inhaber des Cafés, ob er meine „Fee“ kennt. „Sie heißt Xenia.“ Er gibt mir ihre Telefonnummer. Wir verabreden uns zu einem Treffen.
Ohne eine Frage beginnt Xenia über Farben zu sprechen – als ob sie meine Faszination für Farben und Licht spüren und unsere Gemeinsamkeiten erraten kann. Es wird philosophisch, wie sie die Farben des deutschen Alltags mit denen eines Buchenwaldes vergleicht, in dem sich Farben wie unter dem Dach einer Kathedrale verdunkeln und verschmelzen.
„Xenia, wie lange bist du in Deutschland?“
„Eine Ewigkeit, 27 Jahre, fast die Hälfte meines Lebens. Ich kam aus Russland, Moskau, mit meinem Mann und vier Kindern. Meine Großmutter hatte deutsche Wurzeln und so lernte ich früh die Sprache. Wir haben immer einen Garten gehabt.“
„War Gärtnerin immer dein Beruf hier in Deutschland?“
„Ich habe eine Hochschulausbildung als Grafikdesignerin. Als alleinerziehende Mutter, war ich mit der Realität konfrontiert. Ich bekam keine Stelle als Designerin, ich sollte andere Aufgaben übernehmen. Deswegen bin ich selbständig geworden.“
(In meinem Kopf drehen sich auch meine eigenen Erfahrungen.)
„Xenia, Gärtnerin ist jetzt deine Arbeit?“
„Es ist keine Arbeit, es ist mein Hobby. Ich möchte unabhängig bleiben und lebe in der Natur!“
Gärtnern ist ihre Hingabe! Sie hat oft versucht, Gärten in ihrer Nachbarschaft unentgeltlich zu gestalten.
„Ana, gefällt dir der Garten hier im Hof?“
„Ja, Xenia, er ist wunderschön.“
„Was habe ich erreicht? Es ist eine Gestaltung – Kunst, und ich will Zuschauer haben. Ich bin 69 Jahre alt und eine leidenschaftliche Gärtnerin.“
Zum Schluss lädt sie mich in den Garten im Hof ein, zeigt mir ihre Arbeit und Techniken. Die Hagebutten hängen an hohen Ästen, sie öffnet die kleine magische Tür, nimmt eine Leiter, steigt schnell ihre Stufen bis zur Letzten empor – hebt die Arme wie eine Tänzerin – und sammelt flink die heilsamen Früchte und erklärt mir gleichzeitig ihre Zubereitung als Tee. Ich habe sie aufbewahrt bis zu dem Moment, wo ich ihre Geschichte für meine Kolumne schreibe. Herzlichen Dank Xenia, der Tee schmeckt wunderbar! Ich hoffe, du hast mir damit auch das Geheimnis eines Lebenselixiers geschenkt.
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